Harpoon: Sehnenfadenersatz am schlagenden Herzen

In der Schüchtermann-Klinik liegt die Quote der minimal-invasiv durchgeführten Eingriffe bei 84 %.

Ein neues Verfahren ermöglicht die Reparatur undichter Mitralklappen ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine über einen minimal-invasiven Zugang. Die Prozedur wird über eine transösophageale Echokardiographie gesteuert. Eine Durchleuchtung mit Strahlenbelastung wird überflüssig.

Die Mitralklappeninsuffizienz (MI) ist nach der Aortenklappenstenose der zweithäufigste Herzklappenfehler überhaupt. Derzeit leiden in Deutschland bis zu einer Million Menschen an einer therapierelevanten Mitralklappeninsuffizienz, die in unterschiedlichen Schweregraden symptomatisch wird.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Herz-Thorax-Chirurgie aus dem Jahr 2020 wurden im vergangenen Jahr 55,2 % der Mitralklappeneingriffe endoskopisch vorgenommen. In der Schüchtermann-Klinik liegt die Quote der minimal-invasiv durchgeführten Eingriffe bei 84 %.

Seit einigen Jahren haben sich Verfahren etabliert, bei denen nur die defekten oder überbeanspruchten Sehnenfäden durch künstliche Fäden aus Polytetrafluorethylen (PTFE) ersetzt werden. Eine Weiterentwicklung bestand in der „Loop“ Technik. Dabei werden vier Loops an einem Filz befestigt und am freien Ende des prolabierten Segels mit jeweils einem weiteren PTFE-Faden und ohne zusätzliche Stiche am Papillarmuskel befestigt. So wird das Segel wieder in die korrekte Klappenebene gezogen. Das Prinzip der Mitralklappenrekonstruktion durch Sehnenfadenersatz ist inzwischen auch am schlagenden Herzen und ohne Aufnahme einer extrakorporalen Zirkulation möglich. Ein erstes Verfahren nannte sich „TOP-MINI“. Die Abkürzung steht für „Transapical Off-Pump Mitral Valve Intervention with Neochord Implantation“. Unter echokardiographischer Kontrolle werden über einen transapikalen Zugang zum Herzen künstliche Sehnenfäden am freien Ende des prolabierten Segels angebracht, über den Apex ausgestochen und dort befestigt. Mit Harpoon steht nun ein neues und noch einmal deutlich verbessertes Verfahren für den minimal-invasiven Sehnenfadenersatz zur Verfügung, welches ebenfalls ohne extrakorporale Zirkulation auskommt und weitgehend ohne Fremdmaterialien. Eine Ringimplantation ist nicht notwendig. Korrigiert wird ausschließlich der Prolaps des Mitralklappensegels. Künstliche Sehnenfäden aus PTFE ermöglichen es, die prolabierenden Segelabschnitte wieder auf die Klappenebene zu ziehen und so eine ausreichende Koaptationslänge- und breite zu schaffen. Durch den Zug am äußeren Mitralsegelrand in Richtung Ventrikelspitze entsteht ein Winkel, der zu einer Verkleinerung des anterioren-posterioren Diameters auf Höhe des A2 und P2 Segmentes führt.

Über einen kleinen Schnitt im vierten oder fünften Intercostalraum wird nach der Eröffnung des Perikards eine Naht an der Herzspitze gesetzt. Jetzt wird das Device unter transösophagealer Echokontrolle
vorgebracht und behutsam (komplett echogesteuert in 2D und 3D Technik) unterhalb des prolabierenden Segels positioniert. Das Segel wird von dem Device aufgenommen und seine Spitze Schritt für Schritt an den Rand des Segels geführt. Wenn die Position perfekt ist, wird über einen externen Mechanismus eine zwei Zentimeter lange Nadel durch das Segelgewebe gestochen. Auf der atrialen Seite bildet sich ein mehrfach gefalteter Knoten. An ihm befindet sich ein Faden, der über die linke Herzspitze wieder aus dem Herzen herausgeführt wird. Der Vorgang wird mindestens drei Mal wiederholt, bis alle prolabierenden Segelteile im richtigen Abstand mit PTFE-Fäden versorgt sind. Das ist wichtig, um die Zugkraft optimal zu verteilen. Die Fäden werden unter leichten Zug gesetzt, das Ergebnis schließlich im Ultraschall kontrolliert. Weitere Fäden können jederzeit ergänzt werden, sollte das notwendig werden. Sind die Fäden perfekt gesetzt, werden sie an der Ventrikelspitze auf einer kleinen Filzplatte fixiert. Ist der linke Ventrikel bereits durch die Pendelvolumenlast vergrößert, müssen die Sehnenfäden etwas stärker gestrafft werden, um eine Überkorrektur zu provozieren. Der gesamte Eingriff dauert etwa eineinhalb Stunden.

Besonders geeignet ist Harpoon für Patienten mit einem isolierten Prolaps, bei denen der Mitralannulus (Klappenring) nicht oder nur geringfügig dilatiert ist. Die Patienten sollten einen Sinusrhythmus haben.
Eine typische Folgeschädigung einer langjährigen Mitralklappeninsuffizienz ist das Vorhofflimmern. Es entsteht durch die Volumenlast im linken Vorhof und dem daraus resultierenden höheren Druck in der Herzkammer. In diesen Fällen sollte das Vorhofflimmern nach den internationalen Richtlinien mit einer 1A Indikation mittherapiert werden. Für diese Patienten ist das Harpoon-Verfahren nicht geeignet.
Für das Verfahren kommen aufgrund einer meistens noch guten Rückbildungsfähigkeit von Vorhof und Herzhöhlen, dem sog. „Reverse Remodeling“, insbesondere jüngere Patienten in Betracht. Im Verlauf des „Reverse Remodeling“ wird sich der linke Ventrikel etwas verkleinern. Es kommt also zu einer relativen Verlängerung der neu implantierten Sehnenfäden. Diese Entwicklung muss antizipiert werden, um einem erneuten Prolaps vorzubeugen. Harpoon ist grundsätzlich nur bei primärer Mitralklappeninsuffizienz mit Mitralklappenprolaps indiziert, nicht bei einer sekundären MI.